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Notizen zur Fotografie

Die Marketingkampagne zur »Yashica digiFilm™ Camera Y35« – mit schönen Belegen zu Baudrillards Simulacrum-Idee

Abstract.
A Kickstarter campaign raising funds for the digital camera “Yashica digiFilm™ Camera Y35” hat gotten surprisingly successful. The product in question is a toy camera whose interface imitates certain aspects of operating classical 35 mm film cameras. The core idea appeals to me, yet I am annoyed that the product is advertised as being closely linked to film photography. The following text takes a critical look at the technical details, as known thus far.

Seit einigen Wochen kursieren stimmungsvolle Videos, die eine neue Yashica-Kamera andeuten (es darf dort sogar genußvoll geraucht werden; siehe ↬ youtube.com/channel/UC6en9TEc7y9rSiawMVfgxSg/videos). Die vage gehaltenen Filmchen zeigen kein konkretes neues Produkt; vielmehr versuchten sie uns in die R*-Falle zu locken und nährten geschickt die Hoffnung auf eine neue Film-Kamera.

© Martin Frech: Vorhang (Kamera: Yashica T5 (Kyocera, ca. 1995); Film: Kodak Farbwelt 200)

© Martin Frech: Vorhang
Kamera: Yashica T5 (Kyocera, ca. 1995); Film: Kodak Farbwelt 200

Nun ist es raus: #ätschibätsch – wieder alles nur Fake.

Kürzlich begann eine Kickstarter-Kampagne (↬ kickstarter.com/projects/1940283777/) zur Finanzierung der digiFilm™ Camera Y35 unter dem Markennamen Yashica. Nun wurde klar: Der angeteaserte Bezug zur emulsionsbasierten (»analogen«) Fotografie war nur Stimmungsmache.

Bei dem geplanten Produkt handelt es sich tatsächlich um eine einfache Digital­kamera, deren Interface allerdings bestimmte Aspekte der Bedienung von Kleinbild-Film-Kameras aufgreift.

So nach dem Motto: auf Film zu fotografieren ist umständlich und zeitigt mindere Qualität (vgl. bspw. auch die Lomographen). Bauen wir also eine Digitalkamera mit diesen Eigenschaften in ein Gehäuse, das einer der derzeit so beliebten historischen Film-Kompaktkameras nachempfunden ist, wird die Urban-Outfitters-Kundschaft begeistert sein.

Et voilà, die vorläufigen technischen Daten:

Diese Liste lässt also einige Fragen offen und es ist durchaus möglich, dass das fertige Produkt in einigen Punkten besser/anders sein wird (der Hersteller gibt sich in der Kickstarter-Kommentar-Sektion aufgeschlossen). Dennoch und trotz des m. E. zu hohen Preises war das Finanzierungsziel schnell erreicht.

Interessanterweise ist über das Verfahren der Belichtungs­messung und -steuerung nichts zu erfahren; vielleicht muss wie damals geschätzt bzw. ein separater Belichtungs­messer verwendet werden. Schon das könnte hart werden für die anvisierte Kundschaft; zumal nur Jpeg-Daten geschrieben werden, die speziell in den Lichtern bekanntlich kaum Korrekturen in der Nachbearbeitung ermöglichen. Die Kontrollmöglichkeit via Histogramm fehlt ja, schon weil die Kamera kein Display haben wird.

Und wenn das Objektiv tatsächlich nur über eine fixe Blende f/2.8 verfügt und nur die o. g. fünf Verschlußzeiten zur Verfügung stehen und die Sensorempfindlichkeit minimal ISO 200/24° (farbig) bzw. ISO 400/27° (sw) beträgt -- dann viel Spaß am hellichten Tag.

Fotografiert man beispielsweise mit dem digiFilm™ – Black & White-Modul müsste man eine sonnige Szene nach der sunny f/16 rule bei Blende 16 mit einer 1/400 s belichten. Bei der Y35 würde man also die 1/500 s einstellen und damit knapp 5 Blendenstufen überbelichten (oder einen entsprechenden Graufilter vors Objektiv halten; es soll ja kein Filtergewinde geben). Vielleicht ist das bei Kickstarter auch nur schlecht dokumentiert und es wird eine Elektronik geben, die regelnd eingreift.

Man sollte in diesem Zusammenhang wissen, dass die Y35 außer im Werbe-Blah-blah nichts mit der großartigen japanischen Kameratradition zu tun hat: Yashica ist schon lange nicht mehr die Marke der hochwertigen Kameras von einst. Die 1949 in Japan gegründete Yashica Company wurde 1983 von Kyocera übernommen und die Produktion daraufhin nach Hong Kong verlagert. 2005 wurde die komplette Kamera­produktion der Marken Kyocera, Yashica und Contax aufgegeben und 2008 verkaufte Kyocera die Yashica-Markenrechte an eine Firma in Hong Kong, die dieses Investment jetzt offenbar zu versilbern gedenkt. (vgl. ↬ en.wikipedia.org/wiki/Yashica)

Dennoch, mir gefällt das Konzept der Y35 – schade nur, dass es ein solches Billig­produkt sein muss; gewöhnliche Batterien statt speziellem Akku – das hat allerdings Style.
Ich denke schon, dass man mit der Y35 seinen Spaß haben kann (vgl. toy camera). Durch den Sucher der Y35 zu schauen ist sicher ein besseres Gefühl als The Stinky Baby Diaper Hold bzw. The radioactive cellphone offset hold (Kirk Tuck) mit Smart­phones oder sucherlosen Kameras.

Wer jedoch an der Film-Erfahrung und -Ästhetik Interesse hat, ist m. E. mit einer Film-Kamera besser bedient.


Zitierempfehlung:
Frech, Martin: Die Marketingkampagne zur »Yashica digiFilm™ Camera Y35« – mit schönen Belegen zu Baudrillards Simulacrum-Idee. In: Notizen zur Fotografie, 2017-10-12. Online: https://nzf.medienfrech.de/NzF/2017-10-12/Yashica-digiFilm-Camera-Y35.html [Abrufdatum]