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Farbe ist wie Süßkram

Martin Frech

Jeder Di­gi­tal­fo­to­graf fo­to­gra­fiert schwarz­weiß – tech­nisch ge­sehen; die Farbe wird nach der Aufnahme aus dem Datensatz berechnet. Auf­merk­sa­me Leser meines blogs wissen, dass mir die­ser Un­ter­schied zur film­ba­sier­ten Fo­to­gra­fie wich­tig ist.
Auf die Schwarz­weiß-Daten hat man je­doch keinen direkten Zugriff. Das hätte aber auch wenig Sinn, da das Licht ja schon durch die Bayer-Matrix ging bzw. beim Foveon-Sensor in un­ter­schied­lich­en Schichten getrennt wurde.
Die gängigen Interfaces zur Bild­be­ar­bei­tung prä­sen­tie­ren die Kameradaten als Farb­bild, das bei Bedarf (wieder) in ein Schwarz­weiß­bild um­ge­rech­net wer­den kann. Es gibt ak­tu­ell keine Digi­tal­ka­me­ra im unteren/mittleren Preisbereich, die nur die Hel­lig­keits­wer­te di­gi­ta­li­siert und die Sensordaten mo­no­chrom durch­reicht. Im oberen Preisbereich bietet Phase­One das Achro­matic-Di­gi­tal­rück­teil für Mit­tel­for­mat­ka­me­ras an.

Hier sollen je­doch nicht die tech­ni­schen Vor- und Nachteile diverser Sensoren verhandelt wer­den – es geht um Bild­ge­stal­tung. Michael C. Johnston hat kürz­lich auf seinem blog »The On­line Pho­tog­ra­pher« in­te­r­es­sante Ge­dan­ken zum Thema Schwarz­weiß-Sehen-Lernen in der di­gi­ta­len Ära notiert. In seinem Text Temp­ta­tions (Digital B&W Part II)1 vergleicht er das s/w-Emp­fin­den des durch­schnitt­li­chen farb-ge­wohn­ten Di­gi­tal­fo­to­gra­fen mit dem Ess­ver­hal­ten der Ratte, die bis zum Hungertod Zu­cker­was­ser ihrer Nahrung vor­zieht: Das schiere Wissen »wenn ich will, ist die Farbe in den Daten trotz allem immer da«, verhindere eine ernst­haf­te Aus­ei­nan­der­set­zung mit den äs­the­ti­schen He­r­aus­for­de­run­gen der Schwarz­weiß-Fo­to­gra­fie.
Farbe ist ver­füh­re­risch und hat in Johnstons Ana­lo­gie für den, der – vom Di­gi­ta­len kommend – in die s/w-Fo­to­gra­fie ein­stei­gen will das Sucht­po­ten­ti­al von Heroin, Crack oder min­des­tens das von Zu­cker. Die om­ni­prä­sen­te Farbe verhindere per se die Aus­bil­dung eines ent­spre­chen­den Blicks. Der s/w-Aspirant in Digitalien kommt also nicht vom Fleck, weil ihm die Industrie das ent­spre­chen­de Werkzeug ver­wei­gert.

Das mag so sein, ich kann das nicht wirk­lich be­ur­tei­len. Fo­to­gra­fie auf Film und Fo­to­gra­fie auf Sensoren sind halt ver­schie­de­ne Me­di­en (vgl. z⁠.⁠ ⁠B⁠. auch meinen Bei­trag ⁠ ⁠Pla­kat­ge­stal­tung und sw-Auf­nah­mena).
Johnstons Polemik berührt je­doch einen wesentlichen Aspekt der Fo­to­gra­fie auf ana­lo­gen Speicher: man muss sich ent­schei­den.
Wähle ich einen grobkörnigen Film oder einen fein­kör­ni­gen, wähle ich einen Farb- oder einen Schwarz­weiß­film, einen Ne­ga­tiv- oder einen Dia­film. Die für das spätere Bild wesentliche Ent­schei­dung der Film­wahl muss ich vor der Aufnahme treffen – und kann sie spä­ter nicht mehr ändern.
Die Wahl des Materials ist ein wesentlicher Aspekt im künst­le­ri­schen Pro­zess bzw. der Un­ter­schied zwi­schen »Ich mache mir vor der Aufnahme Ge­dan­ken« und »Das Prob­lem löse ich in der Nach­be­ar­bei­tung« (pre-vi­su­al­izing vs. post-pro­cess­ing).


Fußnoten.
1⁠ ⁠theonlinephotographer.typepad.com/the_online_photographer/2011/10/temptations.html [2025-03-23]
ahttps://www.medienfrech.de/foto/NzF/2008-01-20_Martin-Frech_Plakatgestaltung-und-sw-Aufnahmen.html
Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »Farbe ist wie Süßkram«. In: Notizen zur Fotografie, 2011-10-12. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2011-10-12_Martin-Frech_Farbe-ist-wie-Sueszkram.html
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Zitierempfehlung:
Frech, Martin: »Farbe ist wie Süßkram«. In: Notizen zur Fotografie, 2011-10-12. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2011-10-12_Martin-Frech_Farbe-ist-wie-Sueszkram.html$1