Hinweise zu Frank Doerings Arbeit »Der Weg am schwarzen Fluss«

Martin Frech
Abstract.
Am vergangenen Freitag [15.03.2013] wurde mit einer Vernissage die Ausstellung »Transition I. Der Weg am schwarzen Fluss« mit Bildern von Frank Doering er­öff­net. Zur Einführung habe ich einen Vortrag gehalten, den ich hier do­ku­men­tie­re.

Wir bespielen diesen Projektraum im achten Jahr – zwölf Ausstellungen haben wir bis­lang gezeigt.

Dieses Jahr ist für uns das »Jahr des Weges«; unser diesjähriges Programm hat als Überschrift »Transition I bis III«; wir zeigen Land­schafts­fo­to­gra­fie.

»Transition« steht für »Übergang« oder »Überleitung«, das englische »transition« bedeutet auch »Durchquerung«.

Für uns ist die Ambivalenz des Begriffs »Transition« in­te­r­es­sant: zum einen kann man darunter den konkreten Weg von einem Ort zum an­de­ren verstehen, zum an­de­ren aber auch eine Zustandsänderung.

In den drei Ausstellungen werden wir drei fotografische Positionen prä­sen­tie­ren, die sich aus unter­schied­lichen Perspektiven mit dem Thema »Weg« befassen.

Wir starten heute mit »Transition I« und zeigen Frank Doerings Fotos einer alten Han­dels­rou­te aus dem Himalaya.
Im Mai sehen Sie hier ⁠ ⁠meine Bilder eines Uferwegs aus Berlin⁠1 und vo­raus­sicht­lich im Oktober zeigen wir Tobias D. Kerns Annäherung an Martin Heideggers Feld­weg.⁠2

Bilder und Texte zu unserem Projektraum und zu allen unseren Ausstellungen finden Sie auf unserer Website ⁠ ⁠schaelpic.de.

Der Titel zu Frank Doerings Ausstellung, die wir heute eröffnen, lautet »Der Weg am Schwarzen Fluss«. Frank zeigt uns Landschaftsfotografien, die 2011 während einer Trek­king­tour durch das ehemalige Königreich Mustang in Ne­pal ent­stan­den sind.

Ne­pal liegt in Südasien, salopp gesagt ein­ge­klemmt zwischen der VR China im Norden (konkret: dem Autonomen Gebiet Tibet) und Indien im Süden.
Das Land ist nicht halb so groß wie Deutsch­land und hat ungefähr 27 Mio. Ein­woh­ner. Ne­pal wird seit fünf Jahren formal demokratisch regiert, die Haupt­stadt ist Kathmandu.

Im Norden und Osten Ne­pals liegt ein großer Teil des Himalaya-Gebirges, unter anderem der Mount Everest und sieben weitere der zehn höchsten Berge der Erde. Da wundert es mich nicht, dass Ne­pal das durch­schnitt­lich höchst­ge­le­ge­ne Land der Welt ist: Über 40 % des Landes liegen höher als 3.000 m.

Der titelgebende Schwarze Fluss ist der Kali Gandaki, einer der großen Flüsse Ne­pals. (Schwarz erscheint der Fluss allerdings nur aufgrund von dunklen Ab­la­ge­run­gen, das Wasser ist wie üblich).

Das Quellgebiet des Kali Gandaki liegt in Ne­pal, im »Oberen Mustang«; das Wasser fließt über den Ganges in den Indischen Ozean.

Mustang ist ein Distrikt Ne­pals und liegt im Norden des Landes an Grenze zur VR China.
Die nördlichen Zweidrittel dieses Mustang sind das »Obere Mustang«. Dort war Frank unterwegs.

Franks Interesse am Buddhismus war ihm – neben seiner Faszination für diese Land­schaft – ein wichtiger Antrieb für die Reise.
(Der Arbeitstitel für die Fotoserie lautete »Eine Annäherung an den Ursprung des ti­be­ti­schen Buddhismus«.)

Der Buddhismus kommt aus Indien, Tibet liegt im heu­tigen China.
Ne­pal war bis 2006 das einzige Land der Welt, in dem der Hinduismus Staatsreligion war; 80 % der Nepalesen sind Hindus, nur 9 % gelten als Buddhisten.
Da habe ich mich in meiner Unkenntnis gefragt, warum man gerade nach Ne­pal geht, um dem Buddhismus nachzuspühren.

Nun, das liegt eben daran, dass Staatsgrenzen nur selten Kulturräume begrenzen; vor allem, wenn sich Kolonialmächte bei den Grenzziehungen eingemischt haben.

Das Gebiet war früher das unabhängige buddhistische Königreich (man liest auch: Fürstentum) Mustang.
Dieses Königreich wurde nach knapp 400 Jahren Unabhängigkeit im 18. Jh. vom angrenzenden Ne­pal annektiert. Ne­pal hieß damals noch Gorkha.
Mustang war auch zu Zeiten der Selbständigkeit sprachlich und kulturell immer an seinen großen Nachbarn Tibet gebunden.

Dieses Erbe wirkt nach. So wird das Gebiet »Lo« (= Süden) genannt, obwohl es im Norden Ne­pals liegt. Die Sprache der Lopa (das sind die Ein­woh­ner Mustangs) ist ein tibetischer Dialekt – noch immer ist die Kultur dort stark vom historischen Tibet geprägt. Auch der von den Lopa praktizierte Buddhismus entspricht im We­sent­li­chen dem der Tibeter.

Das heutige Mustag wird denn auch dem südtibetischen Kulturraum zugeordnet, der an seinen südöstlichen Rändern über das festlandchinesische Staatsgebiet hi­naus­reicht. Bhutan oder die indische Region Ladakh gehören bei­spiels­wei­se auch dazu.

Doch zurück zu Franks Reise.

Mustang ist ein Schutzgebiet und kaum besiedelt, je­doch ein beliebtes Reiseziel für Trekkingtouristen und Bergsteiger aus aller Welt.
Das Gebiet war lange Zeit gesperrt, weil sich buddhistische Kämpfer im Tibet-Konflikt mit China dorthin zurückgezogen hatten.
Erst seit etwa 20 Jahren ist Mustang für Touristen zugänglich: Seit 1992 wird etwa 2000 Besuchern pro Jahr eine Einreisegenehmigung erteilt, die sich die Behörden teuer bezahlen lassen. (Ne­pal war 2010 übrigens auf Rang 146 von 178 des Kor­rup­ti­ons­index von Transparency Int.)

Frank hat an einer Trek­king­tour in einer Gruppe von 14 Personen (plus Sherpas) teilgenommen; die Reise dauerte drei Wochen im November 2011. Das ist für diese Gegend die beste Reisezeit, es herrschen dann – zumindest tagsüber – angenehme Tem­pe­ra­tu­ren und die Bergsicht ist klar.

Die Wanderung war ein Rundweg. Er begann in Jomsom auf etwa 2.700 m Höhe, später wurden dann auf Pässen Höhen bis über 4.000 m erreicht. Über Kagbeni ging es bis nach Lo Manthang – immer entlang am Westufer des des Kali Gandaki.

Lo Manthang wurde im 14. Jahr­hundert gegründet. Es ist die ehemalige Haupt­stadt des früheren Königreichs Mustang; alte buddhistische Klosteranlagen sind dort zu sehen. Heute leben dort etwa 1000 Menschen.

Lo Manthang war der Wendepunkt der Tour. Von dort ging es an der Ostseite des Flusses wieder zurück.

Das Tal des Kali Gandaki gilt als die tiefste Schlucht der Erde. Der Fluss fließt auf einer Höhe von 1.300 m bis 2.600 m – also etwa 6.000 m tiefer als die höchsten Berge der Umgebung: Der Dhaulagiri und die Annapurna sind beides Achttausender.

In diesem Tal verlief über Jahrhunderte eine wichtige Han­dels­rou­te zwischen Tibet und Indien; vor allem Salz und Reis wurden hier transportiert.

Damit sind wir wieder bei unserem Jahresthema.

Franks Fotos stehen für eine konkrete Bedeutung des Begriffs »Weg«: Eine Ver­bin­dung zweier Orte, die ge­nutzt wird, von einem Ort zum an­de­ren zu gelangen.
Genauso wurde die­ser Weg lange Zeit ge­nutzt.

Für die Touristen hat die­ser Weg je­doch nicht mehr diese Bedeutung. Der alte Weg existiert zwar weiterhin, die neuen Nutzer gehen auch noch die gleiche Strecke, je­doch nicht mehr den ganzen Weg – und aus vollkommen an­de­ren Gründen.

Diesen Aspekt von »Weg« werde ich mit ⁠ ⁠meinen Fotos eines Uferwegs genauer un­ter­su­chen, die Sie dann im Mai hier sehen können.

In Tobias’ Ar­beit wird der Begriff des Weges weiter abstrahiert. In seinem Projekt dient der prinzipiell austauschbare konkrete Weg nur noch als Metapher.

Frank hat auf seiner Wanderung mit einer handlichen Mit­tel­for­mat­ka­me­ra in Schwarz-Weiß auf Film fotografiert – Sie sehen hier selengetonte Barytabzüge.
Die Prints existieren in begrenzter Auflage – Frank würde sich über Käufer freuen.

Mit Tobias hat Frank einen Unterstützer gefunden, der ihm die Ne­ga­tive nach allen Regeln seines Handwerks perfekt aufs Papier gebracht hat: schwarzweiße Land­schafts­fo­to­gra­fie in der großen Tradition dieses Genres – genießen Sie diese wirk­lich schöne Ausstellung!


Fußnoten.
1Transition II – Martin Frech: Uferzonen; Ausstellung; schaelpic photo­kunst­bar, Köln; 13.05. bis 26.07.2013
2Transition III – Tobias D. Kern: Wissende Heiterkeit; Ausstellung; schaelpic photo­kunst­bar, Köln; 21.10. bis 22.12.2013
Transition I
Frank Doering: Der Weg am Schwarzen Fluss
Ausstellungsort: ⁠ ⁠schaelpic photo­kunst­bar
Schanzenstraße 27
51063 Köln
Tel. (02 21) 29 99 69 20
Ausstellungsdauer:
18. März bis 3. Mai 2013
(Mo. bis Fr., 10 bis 18 Uhr
und nach Vereinbarung)
Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »Hinweise zu Frank Doerings Arbeit ›Der Weg am schwarzen Fluss‹«. In: Notizen zur Fotografie, 2013-03-18. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2013-03-18_Martin-Frech_Hinweise-zu-Frank-Doerings-Arbeit-Der-Weg-am-schwarzen-Fluss.html
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