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Romano Riedo: »Hinterland«

Martin Frech
Abstract.
Am 12. Mai 2016 wurde in Köln die Aus­stel­lung »Romano Riedo: Ar­bei­ten aus der Serie Hinterland« er­öff­net (schael­pic pho­to­kunst­bar, 13. Mai bis 11. August 2016). Meinen Vortrag zur Ein­führ­ung in die Aus­stel­lung habe ich hier do­ku­men­tiert.

Das über­grei­fen­de Thema unserer schael­pic-Aus­stel­lung­en 2015/2016 ist das Motiv der »Zeit« in der Fo­to­gra­fie. Wie in den vergangenen beiden Aus­stel­lung­en an­ge­deu­tet, finden wir dazu sehr un­ter­schied­liche Po­si­ti­on­en.

Klar ist: prinzipiell zeigt jede Fo­to­gra­fie etwas Ver­gan­ge­nes, »bezeugen alle Fo­to­gra­fien das un­er­bitt­liche Verfließen der Zeit«, wie es Susan Sontag bereits 1977 so passend for­mu­lier­te. In diesem Sinne hat uns im vergangenen Herbst Jürgen Hermann Krauses Ostblick-Aus­stel­lung – wie durch eine Zeit­ma­schi­ne – Einblicke in den DDR-Alltag der Wen­de­zeit von 1990 verschafft.

Knut Wolfgang Maron da­ge­gen hat den Zeit-Aspekt schon kon­zep­tu­ell be­rück­sich­tigt. Zu Anfang des Jahres sahen wir seine berührenden Bilder vom Ende des Lebens seiner Mutter und ihrer Hin­ter­las­sen­schaft.
Roland Barthes Vermutung von 1977, jedes Anschauen eines Fotos sei ein Kontakt mit dem Tod, bekam hier eine direkte Bestätigung.

Heute zei­gen wir Ihnen Bilder aus ei­nem Langzeit-Pro­jekt von Romano Riedo. Damit haben wir eine Po­si­ti­on, die un­se­rem Thema weitere Aspekte ab­ge­winnt.

Romano Riedo ar­bei­tet als freier Fo­to­graf und Fo­to­jour­na­list in der Schweiz. Neben seinen Auf­trags­ar­bei­ten nimmt er sich re­gel­mäßig Zeit für freie Reportagen, die häufig auf längere Zeiträume angelegt sind.

Seine Welt sind die Berge – Romano Riedo be­schäf­tigt sich seit langem in­ten­siv mit den Berg­bauern in der Schweiz. Seit mehr als 20 Jahren fo­to­gra­fiert er deren Alltag. Die Er­geb­nis­se seiner fo­to­gra­fi­schen Feld­for­schung­en haben sich in Büchern und Aus­stel­lung­en manifestiert mit Titeln wie Alpland, Alpzeit, La Gruyère und eben Hinterland.

Aus dem gewaltigen Bilderberg von Riedos Hinterland-Pro­jekt mussten wir für diese Aus­stel­lung eine kleine Auswahl treffen – eine re­prä­sen­ta­ti­ve, wie wir hoffen.

Riedos Hinterland sind die Alpen. Neben Jura und Mit­tel­land sind die Alpen eine der drei Schweizer Groß­re­gio­nen. Und ob­wohl die Alpen etwa 60 % der Schweizer Landes­fläche be­an­spru­chen, sind sie nur dünn be­sie­delt. Der Großteil der rund 8,5 Mio. Schweizer lebt im Mit­tel­land, das je­doch nur etwa ein Drittel der Landes­fläche ausmacht, bei einer Breite von maximal 70 km.

Letzteres ist einer der Aspekte, die Riedo fas­zi­niert: man hat aus allen größeren Städten der Schweiz nur kurze Wege in die Berge, kann dort je­doch in eine komplett andere Welt eintauchen; in seinem Fall ist das die Arbeits- und Le­bens­welt der Berg­bauern. Laut Riedo ist das auch in der Schweiz eine Minderheit, die kaum jemand wirk­lich kennt.

Er selbst kennt diese Welt, da er ein­mal für eine Saison dort ge­ar­bei­tet hat und seit­her immer wieder dorthin gereist ist. Er hat sich durch die beharrliche Aus­ei­nan­der­set­zung mit dem Thema einen pri­vi­le­gier­ten Zu­gang zu den Berg­bauern erarbeitet, der ihm ein Fo­to­gra­fie­ren quasi als teil­neh­men­dem Beobachter ermöglicht.

Doch was ist ei­gent­lich ein Bergbauer?
Ein Bergbauer ist ein Bauer im Gebirge.
Das hört sich einfach an, bringt für den Berg­bauern im Ver­gleich zu seinen Kollegen im Flachland je­doch so seine Schwie­rig­kei­ten mit sich: moderne land­wirt­schaft­li­che Geräte sind kaum einsetzbar, die kli­ma­ti­schen Bedingungen sind extrem und die Höfe, Weiden und Acker­flä­chen sind schwerer zu­gäng­lich. Attraktiv wurde das Berg­bauern­tum daher auch erst vor etwa 800 Jahren – wegen der damaligen Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung und dem Mangel an einfach zu be­wirt­schaf­ten­den Flächen.

Heut­zu­ta­ge wirkt das Berg­bauern­tum wie aus der Zeit ge­fal­len und ist zu­min­dest in Eu­ro­pa wirt­schaft­lich schon lange nicht mehr kon­kur­renz­fä­hig. Aus un­ter­schied­lich­en Gründen wer­den Berg­bauern je­doch staat­lich un­ter­stützt. Stich­wor­te sind Land­schafts­pflege, Tou­ris­mus­för­de­rung und naturnahe Le­bens­mit­tel­pro­duk­tion (»slow food«).

Diese ent­schleu­nig­te berg­bäuer­li­che Le­bens­mit­tel­her­stel­lung interessiert Romano Riedo be­son­ders. Ihn fas­zi­niert es, die Älpler bei Ihrer Ar­beit zu beobachten und er schätzt die Iden­ti­fi­ka­ti­on der Men­schen mit ihrer Ar­beit und den dabei ent­stan­de­nen Produkten. Ich kann das seinen Bildern ent­neh­men.
Ob­wohl ich mir vorstellen kann, dass auch in die­ser Berg­bauern-Welt das eine oder andere Artefakt unserer mo­der­nen Welt auftaucht, ist auf Riedos Bildern da­von kaum etwas zu sehen. Mal die Andeutung einer Melk­ma­schi­ne, mal ein Funk­ge­rät oder etwas versteckt ein Kas­set­ten­re­kor­der. Auch das Etikett an einer Kin­der­ho­se deutet einen zeit­ge­nös­si­sch­en Kon­text an. Aber man muss schon arg nach Details suchen, die diese Bilder im Jetzt ver­or­ten.

In der Tra­di­tion der Reportage-Fo­to­gra­fie besteht Riedos Ar­beit aus Landschafts-Auf­nah­men, Por­traits und der Do­ku­men­ta­ti­on von Ar­beits­ab­läu­fen; Schnapp­schüsse hat sich der Fo­to­graf aus­drück­lich erlaubt.

Tech­nisch hat Romano Riedo im Einklang mit seinen Motiven zu­min­dest während den Auf­nah­men ganz klas­sisch ge­ar­bei­tet. Alle Bilder sind mit einer handlichen Mit­tel­for­mat­ka­me­ra (einer Mamiya 6) auf Schwarz­weiß­film fo­to­gra­fiert – aus­schließ­lich mit dem vor­han­den­en Licht und nur aus der Hand.
Spä­ter hat Riedo die Ne­ga­tive je­doch ge­scannt und Tinten­strahl-Drucke erstellt; es handelt sich bei den hier ge­zeig­ten Bildern also nicht um tra­di­ti­o­nel­le Schwarz­weiß-Ver­grö­ße­rung­en.

Riedo hat in der ganzen Schweiz fo­to­gra­fiert – unter an­der­em in Appenzell, Grau­bün­den, Tessin, Oberwallis, Berner Ober­land und Greyerz.

Ich denke mir, dass der Glo­ba­li­sie­rungs­druck weiter zu­neh­men wird und derartige selbst gewählte Arbeits- und Le­bens­formen in den Bergen vollends ver­schwin­den wer­den. Es ist wich­tig, dass es Fo­to­gra­fen wie Romano Riedo gibt, die diese Pa­ral­lel­wel­ten mit solcher Aus­dau­er für uns do­ku­men­tie­ren. Ich wünsche ihm, dass er seinen Plan realisieren kann, diese Serie auf ganz Eu­ro­pa auszudehnen.


Fußnoten.
ahttp://www.schaelpic.de/
bhttps://www.medienfrech.de/foto/NzF/2016-09-18_Martin-Frech_Michael-Marten-Sea-Change.html
Ein Bild hängt vor einer Wand. Auf dem Bild ist ein Schwein neben einem Begkreuz zu sehen, im Hintergrund Berge. (Foto: Tobias D. Kern, 4/2016)
Romano Riedos Bild »Ein Schwein in Frei­heit vor ei­nem Holzkreuz auf Alp Turtmann im Wallis« in unserer Aus­stel­lung. (Foto: Tobias D. Kern, 4/2016)
Ein Bild hängt vor einer Wand. Auf dem Bild ist ein Schwein neben einem Begkreuz zu sehen, im Hintergrund Berge. (Foto: Tobias D. Kern, 4/2016)
Romano Riedo: Hinterland
Aus­stel­lungs­ort: ⁠ ⁠schael­pic pho­to­kunst­bara
Schan­zen­stra­ße 27
51063 Köln
Tel. (02 21) 29 99 69 20
Aus­stel­lungs­dau­er:
13. Mai bis 11. August 2016
(Mo. bis Fr., 10 bis 18 Uhr
und nach Vereinbarung)

Weiterlesen: ⁠ ⁠Michael Marten »Sea Change«b

Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »Romano Riedo: ›Hinterland‹«. In: Notizen zur Fotografie, 2016-05-14. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2016-05-14_Martin-Frech_Romano-Riedo-Hinterland.html
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Zitierempfehlung:
Frech, Martin: »Romano Riedo: ›Hinterland‹«. In: Notizen zur Fotografie, 2016-05-14. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2016-05-14_Martin-Frech_Romano-Riedo-Hinterland.html$1