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Markus Bollen: »Black­brook« (zur Aus­stel­lung 2017 in der schael­pic pho­to­kunst­bar)

Martin Frech
Abstract.
Kürz­lich [24.03.2017] wurde in Köln die Aus­stel­lung »Black­brook« mit Ar­bei­ten von Markus Bollen er­öff­net. Zur Ein­führ­ung habe ich einen Text ge­schrieben, den ich hier do­ku­men­tie­re.

In die­ser Aus­stel­lung zei­gen wir Ihnen Bilder einer Was­ser­ober­flä­che – auch wenn die über­wiegend in Grün ge­hal­te­nen Fotos dies erstmal nicht erwarten lassen. Das Grün kommt von den vielen Algen im Wasser und deutet an, dass es sich wohl um ein stehendes Gewässer handelt – oder zu­min­dest um ein nur träge da­hin­flie­ßen­des; vielleicht ist es überdüngt.

Fotos von der Ober­fläche eines Weihers also, eventuell ist es auch ein Pfuhl oder sogar ein See. Den Bildern kann ich das nicht ent­neh­men – sie geben mir weder In­for­ma­ti­on­en über die Aus­deh­nung des Ge­wäs­sers noch über seine Tiefen­struk­tur. Ein Tümpel scheint es je­doch nicht zu sein: auf der Website des Fo­to­gra­fen ist je­den­falls ein Bild des felsigen Uferbereichs zu sehen, das auf ein ganz­jäh­ri­ges Gewässer hindeutet.⁠1

Wo befindet sich das Gewässer? Wieder geben mir die Bilder keinen ent­spre­chen­den Hin­weis – weder sind Land­marken zu sehen, noch ein Hin­weis­schild. Und auch der Ti­tel hilft uns nicht wirk­lich weiter: Markus Bollen hat die Serie schlicht »Black­brook« genannt; und übri­gens auch nicht datiert. Da »Brook« be­son­ders im Eng­li­schen häufig als Teil eines Ge­wäs­ser­na­mens auftritt, ist das im­mer­hin eine Spur.

Wie auch immer – eine exakte De­fi­ni­ti­on des Ge­wäs­sers oder dessen Ver­or­tung ist in diesem Zu­sam­men­hang auch gar nicht nötig. Bei die­ser Gruppe von Bildern geht es um die Struk­tu­ren auf der Was­ser­ober­flä­che. Struk­tu­ren die ent­ste­hen durch Spie­ge­lung­en, Reflexe, Farb­kon­tras­te, zufällig verteilte Blätter und andere Ge­gen­stände sowie die Schlieren der Algen. Die Blätter sind auf den de­tail­rei­chen Panoramen als solche zu er­ken­nen, eben­falls Ästchen und Steine sowie die Spie­ge­lung­en der Bäume – es sind also keine ab­strak­ten Bilder. Al­ler­dings erkenne ich kein oben und unten; die Bilder könnten andersrum hängen und es würde mir nicht auffallen – sogar gekippt, als extreme Hoch­for­ma­te, würde die Präsentation für mich funk­tio­nie­ren.

Mich er­innern diese Rah­men­be­din­gun­gen an die »Equiv­a­lents« (= Ent­spre­chung­en), eine Serie von über 200 Bildern, die Alfred Stieglitz (1864–1946) ab 1925 etwa 10 Jahre lang fo­to­gra­fier­te. Stieglitz hat die Wolken am Himmel auf­ge­nom­men, fast immer ohne Horizont als Bildanker. So hat sich da­mals auch bald die Frage gestellt, was oben und unten bei diesen Bildern sei. Stieglitz war das schlicht egal, es war nicht wich­tig.

Die »Equiv­a­lents« gelten als die ersten Fotos in der Ge­schich­te, bei denen der Bild­autor die In­ter­pre­ta­ti­on bewusst vom Motiv getrennt hat. Stieglitz hat zwar Wolken fo­to­gra­fiert, die Bilder der Wolken sollten vom Betrachter je­doch nicht vorrangig als Bilder von Wolken (also als Bilder von me­te­o­ro­lo­gi­schen Phänomenen) ge­sehen wer­den.

Ur­sprüng­lich nannte Stieglitz seine Wol­ken­bil­der-Serien »Songs of the Sky« – es gibt da wohl auch eine syn­äs­the­ti­sche Kom­po­nen­te. Die Um­be­nen­nung in »Equivalents« begründete er so: »Ich habe eine bestimmte Sicht des Lebens und manch­mal versuche ich Ent­spre­chung­en dafür in der Form von Pho­to­gra­phi­en zu finden.« bzw. die Wol­ken­bil­der seien »Ent­spre­chung­en meiner tief­grün­digs­ten Le­bens­er­fah­rung«. Der ame­ri­ka­ni­sche Maler Abraham Walkowitz (1878–1965) hat das zuvor schon 1916 so formuliert: »Ich vermeide keine Objektivität und suche keine Sub­jek­ti­vi­tät, sondern ich versuche eine Ent­spre­chung für das zu finden, was der Ef­fekt meiner Be­zie­hung zu ei­nem Ding ist.«⁠2

Diese Haltung war da­mals in Stieglitz’ Umfeld nicht unüblich. Diese Künst­ler – neben Stieglitz etwa Georgia O⁠’⁠Keeffe (1887–1986) oder Paul Strand (1890–1976) – thema­ti­sier­ten mit den ent­spre­chen­den Werken ihre Spi­ri­tu­a­li­tät.

»Spi­ri­tu­a­li­tät« – das ist ein gutes Stichwort, um wieder zu­rück­zu­kom­men zu Markus Bollen. Denn ihm geht es um Kon­tem­p­la­ti­on: Die Black­brook-Bilder sind im Zu­sam­men­hang mit Me­di­ta­tions­übun­gen ent­stan­den, zu denen sich der Fo­to­graf in ei­nem ka­tho­li­schen Kloster in England auf­ge­hal­ten hat.

Indirekt findet sich hier auch der Bezug zu unserer Aus­stel­lungs­rei­he, die sich nun in der sechsten Folge mit fo­to­gra­fi­schen Po­si­ti­on­en zum Phä­no­men Zeit befasst.

Wir wissen ja spä­tes­tens seit Heraklit, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann. Mit der Fo­to­gra­fie ist es vergleichbar: zwi­schen dem Einrichten der Ka­me­ra und dem Auslösen des Ver­schlus­ses vergeht Zeit. Markus Bollen nutzte an seiner Pa­no­ra­ma­ka­me­ra – wie die Großformat-Fo­to­gra­fen – zur Bild­kom­po­si­tion nicht den Durchblick-Sucher, sondern eine Mattscheibe, die die Sicht des Objektivs zeigt. Diese befindet sich an genau der Stelle, wo spä­ter der Film be­lich­tet wird; so kann man die Ka­me­ra präzise ausrichten. Vor dem Belichten muss die Mattscheibe dann gegen die Film­kas­set­te ge­tauscht wer­den. Bewegt sich das Motiv, bei­spiels­wei­se ein fließendes Gewässer, hat es sich in die­ser Zeit na­tür­lich verändert. Für Markus Bollen eine Übung im Loslassen – gibt er doch ein wenig die Kontrolle über das Bild­er­geb­nis ab.

Das ist ein Prob­lem, mit dem übri­gens auch Michael Marten konfrontiert war, als er mit der Groß­for­mat­ka­me­ra das Meer fo­to­gra­fier­te. Nur, dass Michael das nicht in dem Maße schätzen konnte wie Markus Bollen und u⁠.⁠ ⁠a⁠. deswegen die Ka­me­ra wechselte. (Vielleicht er­innern Sie sich an ⁠ ⁠Michael Marten: »Sea Change«a.)

Die Black­brook-Serie fügt sich ein in die freien Ar­bei­ten von Markus Bollen; die Ar­bei­ten also, die er ohne Auf­trag anfertigt – über­wiegend Na­tur- und Land­schafts­fo­to­gra­fien. Dabei nimmt er nicht nur die scheinbar unberührte Na­tur in den Blick. Seine Serien mit Panoramen von Alpenpässen und Tagebauen zei­gen denn auch deut­lich unsere zi­vi­li­sa­to­ri­schen Spuren. Ebenso na­tür­lich seine Veduten aus China und Berlin; Stadt-Land­schaf­ten eben.

Da gibt es Werkgruppen, die vor­der­grün­dig spannender sind als die Wasser-Bilder. Ich freue mich je­doch, dass wir aus diesem Bilder-Pool die eher sperrigen – und für mache sicher auch langweiligen – Blackbrook-Fotos zei­gen. Denn wenn die Exis­ten­zi­a­listen recht haben und das Gefühl der Langeweile tat­säch­lich ein Grund­zustand des mensch­li­chen Daseins ist, kann unsere Aus­stel­lung ja vielleicht sogar er­kennt­nis­för­dernd sein.


Fußnoten.
1⁠ ⁠www.panoramic-art.de/natur/blackbrook/ [2017-03-22; 2020-04-30]
2Zi­ta­te nach: Greenough Sarah: Eine neue Sprache für die Pho­to­gra­phie. Alfred Stieglitz' Serie der Wol­ken­pho­to­gra­phien. In: Kat. Ausst. No­ta­ti­on. Kalkül und Form in den Künsten, Berlin, Akademie der Künste, 20.09.–16.11.2008, Berlin, Karlsruhe, 2008. S. 331–335.
In­te­r­es­sant ist in diesem Zu­sam­men­hang auch: Stieglitz, Alfred: How I Came to Pho­to­graph Clouds. In: The Amateur Pho­tog­ra­pher. 19.09.1023, S. 255. Online: ⁠ ⁠media.artic.edu/stieglitz/wp-content/uploads/sites/6/2016/06/1923-09-19-Stieglitz-How-I-came-to-photograph-clouds-American-Amatuer-Photographer.pdf [2017-03-22; 2020-04-30]
Einige von Stieglitz' Wol­ken­bil­dern: www.phillipscollection.org/research/american_art/artwork/Stieglitz-Equivalent_Series1.htm [2017-03-22; 2020-04-30; nicht mehr da. Aber: ⁠ ⁠phillipscollection.org/alfred-stieglitz [2025-02-16]]
ahttps://www.medienfrech.de/foto/NzF/2016-09-18_Martin-Frech_Michael-Marten-Sea-Change.html
bhttp://www.schaelpic.de/
Markus Bollen: Blackbrook
Aus­stel­lungs­ort:
⁠ ⁠schael­pic pho­to­kunst­barb
Schan­zen­stra­ße 27
51063 Köln
Tel. 0221.29996920
Aus­stel­lungs­dau­er:
27. März bis 12. Mai 2017
(Mo. bis Fr., 10 bis 18 Uhr
und nach Vereinbarung)
Vernissage:
Freitag, 24. März 2017, ab 18.30 Uhr
Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »Markus Bollen: ›Black­brook‹ (zur Aus­stel­lung 2017 in der schael­pic pho­to­kunst­bar)«. In: Notizen zur Fotografie, 2017-03-27. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2017-03-27_Martin-Frech_Markus-Bollen-Blackbrook-zur-Ausstellung-2017-in-der-schaelpic-photokunstbar.html
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Zitierempfehlung:
Frech, Martin: »Markus Bollen: ›Black­brook‹ (zur Aus­stel­lung 2017 in der schael­pic pho­to­kunst­bar)«. In: Notizen zur Fotografie, 2017-03-27. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2017-03-27_Martin-Frech_Markus-Bollen-Blackbrook-zur-Ausstellung-2017-in-der-schaelpic-photokunstbar.html$1