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Die Mar­ke­ting­kam­pa­gne zur »Yashica digiFilm™ Camera Y35« – mit schönen Belegen zu Baudrillards Simulacrum-Idee

Martin Frech
Abstract.
A Kick­starter campaign raising funds for the digital camera “Yashica digiFilm™ Camera Y35” hat gotten sur­pris­ing­ly successful. The product in question is a toy camera whose interface imitates certain aspects of operating classical 35 mm film cameras. The core idea appeals to me, yet I am annoyed that the product is ad­ver­tised as being closely linked to film pho­tog­ra­phy. The following text takes a critical look at the technical details, as known thus far.

Seit einigen Wochen kursieren stim­mungs­vol­le Videos, die eine neue Yashica-Ka­me­ra andeuten (es darf dort sogar ge­nuß­voll geraucht wer­den).⁠1 Die vage ge­hal­te­nen Filmchen zei­gen kein konkretes neues Produkt; viel­mehr ver­such­ten sie uns in die Retro-Falle zu locken und nährten ge­schickt die Hoff­nung auf eine neue Film-Ka­me­ra.

Vorhang (Kamera: Yashica T5 (Kyocera, ca. 1995); Film: Kodak Farbwelt 200 (Foto: Martin Frech, 7/2017)
Vorhang (Ka­me­ra: Yashica T5 (Kyocera, ca. 1995); Film: Kodak Farb­welt 200
(Foto: Martin Frech, 7/2017)
Vorhang (Kamera: Yashica T5 (Kyocera, ca. 1995); Film: Kodak Farbwelt 200 (Foto: Martin Frech, 7/2017)

Nun ist es raus: #ätschi­bätsch – wieder alles nur Fake.

Kürz­lich be­gann eine Kickstarter-Kam­pag­ne zur Fi­nan­zie­rung der digiFilm™ Camera Y35 unter dem Markennamen Yashica.⁠2 Nun wurde klar: Der an­ge­teaser­te Bezug zur emul­si­ons­ba­sier­ten (»ana­lo­gen«) Fo­to­gra­fie war nur Stim­mungs­ma­che.

Bei dem ge­plan­ten Produkt handelt es sich tat­säch­lich um eine einfache Digi­tal­ka­me­ra, deren Interface al­ler­dings bestimmte Aspekte der Bedienung von Klein­bild­film­ka­me­ras aufgreift.

So nach dem Motto: Auf Film zu fo­to­gra­fie­ren ist um­ständ­lich und zei­tigt mindere Qua­li­tät (vgl. bspw. auch die Lomo­graphen). Bauen wir also eine Digi­tal­ka­me­ra mit diesen Ei­gen­schaf­ten in ein Gehäuse, das einer der derzeit so beliebten his­to­ri­schen Film-Kom­pakt­ka­me­ras nach­emp­fun­den ist, wird die Urban-Out­fitters-Kund­schaft begeistert sein.

Et voilà, die vorläufigen tech­ni­schen Daten:

Diese Liste lässt also einige Fragen offen und es ist durch­aus mög­lich, dass das fertige Produkt in einigen Punkten besser/an­ders sein wird (der Hersteller gibt sich in der Kickstarter-Kommentar-Sektion auf­ge­schlos­sen). Den­noch und trotz des m⁠.⁠ ⁠E⁠. zu hohen Preises war das Fi­nan­zie­rungs­ziel schnell erreicht.

In­te­res­san­ter­wei­se ist über das Ver­fah­ren der Be­lich­tungs­mes­sung und -steuerung nichts zu erfahren; vielleicht muss wie da­mals ge­schätzt bzw. ein se­pa­ra­ter Be­lich­tungs­mes­ser ver­wen­det wer­den. Schon das könnte hart wer­den für die an­vi­sier­te Kund­schaft; zumal nur Jpeg-Daten ge­schrieben wer­den, die speziell in den Lichtern bekanntlich kaum Korrekturen in der Nach­be­ar­bei­tung ermöglichen. Die Kon­troll­mög­lich­keit via Histogramm fehlt ja, schon weil die Ka­me­ra kein Display haben wird.

Und wenn das Ob­jek­tiv tat­säch­lich nur über eine fixe Blende f/2.8 verfügt und nur die o. g.; fünf Ver­schluß­zei­ten zur Verfügung stehen und die Sen­sor­emp­find­lich­keit minimal ISO 200/24° (farbig) bzw. ISO 400/27° (sw) beträgt – dann viel Spaß am hel­lich­ten Tag.

Fo­to­gra­fiert man bei­spiels­wei­se mit dem digiFilm™ – Black & White-Modul müsste man eine sonnige Sze­ne nach der sunny f/16 rule bei Blende 16 mit einer 1/400 s belichten. Bei der Y35 würde man also die 1/500 s einstellen und damit knapp 5 Blen­den­stu­fen über­be­lich­ten (oder einen ent­spre­chen­den Grau­filter vors Ob­jek­tiv halten; es soll ja kein Filter­ge­winde geben). Vielleicht ist das bei Kickstarter auch nur schlecht do­ku­men­tiert und es wird eine Elektronik geben, die regelnd eingreift.

Man sollte in diesem Zu­sam­men­hang wissen, dass die Y35 außer im Werbe-Blah-blah nichts mit der groß­ar­ti­gen japanischen Ka­me­ra­tra­di­ti­on zu tun hat: Yashica ist schon lange nicht mehr die Marke der hochwertigen Ka­me­ras von einst. Die 1949 in Japan gegründete Yashica Company wurde 1983 von Kyocera übernommen und die Produktion daraufhin nach Hong­kong verlagert. 2005 wurde die komplette Ka­me­ra­produktion der Marken Kyocera, Yashica und Contax auf­ge­ge­ben und 2008 ver­kauf­te Kyocera die Yashica-Markenrechte an eine Firma in Hong­kong, die die­ses Investment jetzt offenbar zu versilbern gedenkt.⁠3

Den­noch, mir gefällt das Kon­zept der Y35 – schade nur, dass es ein solches Bil­lig­pro­dukt sein muss; ge­wöhn­li­che Batterien statt speziellem Akku – das hat al­ler­dings Style.
Ich denke schon, dass man mit der Y35 seinen Spaß haben kann (als toy camera). Durch den Sucher der Y35 zu schauen ist sicher ein besseres Gefühl als The Stinky Baby Diaper Hold bzw. The radioactive cellphone offset hold (Kirk Tuck) mit Smart­phones oder sucherlosen Ka­me­ras.

Wer je­doch an der Film-Er­fahr­ung und -Ästhetik Interesse hat, ist m⁠.⁠ ⁠E⁠. mit einer Filmkamera besser bedient.


Fußnoten.
1z⁠.⁠ ⁠B⁠. ⁠ ⁠youtube.com/watch?v=2g_YiSY6egk [2025-02-11]
2⁠ ⁠kickstarter.com/projects/1940283777/expect-the-unexpected-digifilmtm-camera-by-yashica [2025-02-11]
3⁠ ⁠en.wikipedia.org/wiki/Yashica [2025-02-11]
Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »Die Mar­ke­ting­kam­pa­gne zur ›Yashica digiFilm™ Camera Y35‹ – mit schönen Belegen zu Baudrillards Simulacrum-Idee«. In: Notizen zur Fotografie, 2017-10-12. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2017-10-12_Martin-Frech_Die-Marketingkampagne-zur-Yashica-digiFilm-Camera-Y35-mit-schoenen-Belegen-zu-Baudrillards-Simulacrum-Idee.html
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