Die letzten Male (Version 1.0, Sept. 2014)
In meinem Leben gibt es ständig letzte Male.
Die ganze Bandbreite: Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten, Erfreuliches und Ärgerliches – aber auch lebensverändernde Ereignisse.
Manches habe ich bald vergessen, über anderes muss ich noch lange nachdenken.
Für einige letzte Male gibt es daher entsprechende Rituale: Abschiedsfeiern, Gruppenbilder oder Trauerzeremonien
Das bringt der Lauf der Zeit so mit sich, höre ich.
Das stimmt wohl; es beschäftigt mich dennoch – also fotografiere ich es.
Bestimmte Veränderungen sind angekündigt, andere nicht.
Ein achtsamer Blick hilft, bestimmte Ereignisse zu antizipieren.
Gelegentlich fotografiere ich daher zufällig letzte Male; eben weil ich nicht weiß, dass es das letzte Mal war, dass ich das Fotografierte erlebt habe (s. o.).
Bei anderen Gelegenheiten fotografiere ich das letzte Mal bewusst. (Denkt hier jemand an das letzte Mahl?)
Die letzten Male haben unterschiedliche Tragweiten:
- Ich kaufe ein und stelle fest, dass ein Produkt (ich kaufe es regelmäßig) nun anders verpackt ist.
- Ich habe mich an etwas gewöhnt, das nicht mehr hergestellt wird. Als Fotograf war ich davon in den letzten Jahren massiv betroffen: die meisten Geräte, Ersatzteile und Materialien der klassischen Fotografie werden nicht mehr produziert.
- Ich ernte den letzten Rhabarber der Saison.
- Ein Laden oder eine Werkstatt wird aufgegeben; adäquater Ersatz ist nicht in Sicht.
- Ich muss eine neue Mülltonne verwenden, weil die bisherige einer EU-Vorschrift widerspricht.
- Ich wickle mein Kind zum letzten Mal; es sitzt zum letzten Mal im Fahrrad-Kindersitz usw.
- Technische Dienste, die ich über lange Zeit regelmäßig nutzte, werden eingestellt; beispielsweise das Digitale Satellitenradio, die analoge Fernsehübertragung oder Nintendos Wi-Fi-Connection.
- Ich verpasse die letzte S-Bahn.
- Der technische Wandel macht Berufe überflüssig, so wurde u. a. der Beruf Schriftsetzer aufgehoben.
- Ich habe erlebt, dass Währungen auf einem ganzen Kontinent ersetzt wurden und sogar, dass ein ganzer Staat verschwunden ist.
Fotografien zeigen prinzipiell Vergangenes.
Fotografieren ist für mich Dokumentieren.
Indem ich sie fotografiere, dokumentiere ich Szenen und Dinge, die mir wichtig sind.
Insofern ist mein Fotoarchiv eine Sammlung von Sammlungen.
Beim Anschauen alter Fotografien interessieren mich häufig die damaligen Nebensächlichkeiten – Dinge, die unabsichtlich aufs Bild geraten sind, einfach weil sie da waren; Bilder werden – kaum sind sie fotografiert – zu Zeitdokumenten.
2014 habe ich mich intensiv mit meinem Archiv beschäftigt. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich über die Jahre regelmäßig Dinge und Ereignisse fotografiert habe, die es danach nicht mehr gab bzw. die ich zum letzten Mal erlebt habe.
Ausstellungsprojekt mit diversen Serien und Einzelfotos:
farbig (D-Prints) und schwarzweiß (Silbergelatine-Baryt-Prints, direkt vergrößert von den originalen sw-Negativen),
unterschiedliche Formate, unterschiedliche Auflagen,
jeweils verso datiert und signiert